der Klassiker: Mexikanische Rotknie-Vogelspinne (Brachypelma smithi)
der Klassiker: Mexikanische Rotknie-Vogelspinne (Brachypelma smithi)

Spinnen – Von „Taranteln“ und anderen Urviechern

 

Als Kind habe ich mich – wie zahllose andere Menschen -  vor ihnen geekelt. Seltsam, dass diese Tiergruppe bei so vielen Menschen Urängste auslöst.  Vom einfachen Nicht-Mögen bis zur ausgewachsenen medizinisch diagnostizierten Arachnophobie. Da ich mir damals aber als kleiner „Grzimek-Jünger“ auf die Fahnen geschrieben hatte, ein Tierfreund zu sein, fand ich es ungerecht, davon eine Tiergruppe auszunehmen; vor allem, nachdem ich im Fernsehen den Klassiker „Leben am Seidenen Faden“ gesehen hatte.

Die Hausspinne oder Winkelspinne (Tegenaria atrica).
Die Hausspinne oder Winkelspinne (Tegenaria atrica).

Tegenaria -  meine Therapiespinne

 

Ich habe mich also bewusst trainiert und mir das verordnet, was die Psycho-therapeuten „Konfrontationstherapie“ nennen: ich habe angefangen, die allgegenwärtige Haus- oder Winkelspinne Tegenaria atrica, wo immer ich sie in unserer Mietskaserne fand, behutsam mit der hohlen Hand zu fangen und hinaus-zubegleiten – erst die kleinen, zum Schluss dann auch die großen, alten Weibchen. Seitdem geht´s mit den Spinnen!

 

Spinnen sind überall. In jedem Garten in Massen zu finden: Pardosa lugubris, bei uns die häufigste Wolfsspinnen-Art. Wolfsspinnen bauen kein Netz, sonden jagen "zu Fuß". Hier haben an einem heißen Hochsommertag mehrere Tiere Zuflucht in einem feuchten Blumentopf gesucht. Die Weibchen tragen runde, helle Eikokons. 

die Wespenspinne Argyope bruenichii - jetzt auch bei uns eingewandert ! Spektakulär - aber völlig harmlos !
die Wespenspinne Argyope bruenichii - jetzt auch bei uns eingewandert ! Spektakulär - aber völlig harmlos !

Die Urviecher sind unter uns

 

Denn wir teilen ja unsere Welt mit 45.000 Arten von Spinnen und können sie daher nicht einfach negieren. Und dieses Erfolgsmodell mit dem Chitinpanzer, den Punktaugen, der Tracheenatmung, den 4 Beinpaaren, Kiefertastern und Giftklauen ist immerhin seit 300 Millionen Jahren bewährt. In den Farnwäldern der Steinkohlezeit gab es noch keine Mäuse, Möpse oder Menschen, keine Vögel, und auch die Dinosaurier waren noch lange nicht erfunden.  Dafür aber jede Menge riesige Gliederfüßer (Arthropoden): Libellen, Schaben, Tausendfüßer, Skorpione und Spinnen. Und einige waren so groß, dass sie Katzen hätten fressen können -  wenn solche damals schon zur Verfügung gestanden hätten. Der hohe Sauerstoffgehalt der steinkohlezeitlichen Atmosphäre machte den Arthropoden solche Ausmaße möglich. Heute geht das nicht mehr: das Atmungssystem der Land-Gliederfüßer sorgt dafür, dass z.B. die größte heute lebende Vogelspinne Theraphosa blondi „nur“ 30 cm Spannweite hat.

„Zeig mal deine Tarantel“

 

Nein, liebe Leute, wenn Ihr „Tarantel“ sagt, meint Ihr „Vogelspinne“! Unermüdlich kämpfe ich gegen dieses Kabinettstückchen gesunder Halbbildung an. Die ganze Geschichte war so:

Zu den größten und spektakulärsten Spinnen gehören die Vogelspinnen (Theraphosidae), die mit ca. 800 Arten in den einigermaßen warmen Gebieten der Alten und der Neuen Welt leben und in Amerika mit einigen Arten auch den Süden der USA erreichen. Mit Ausnahme einer Art auf Zypern gibt es in Europa keine wildlebenden Vogelspinnen.

Aber auch in Europa gibt es einige große (aber im Übrigen recht harmlose!) Spinnen, in Südeuropa etwa die zu den Wolfsspinnen gehörende Apulische Tarantel (Lycosa tarantula). In Italien ranken sich um die Tarantel hanebüchene Stories: der Biss soll höllische Schmerzen verursachen und zum Tode führen, wenn man nicht die einzig rettende Therapie einleitet:  ein Priester (nach anderer Lesart Zigeuner, Gaukler oder anderes „fahrendes Volk“) muss einem auf der Fiedel die Tarantella vorspielen (ein rhythmischer, flotter Volkstanz im 6/8-Takt), und dazu hat der „Todgeweihte“ zu tanzen, bis er in Ekstase fällt und schweißgebadet bewusstlos zusammenbricht – um nach langem todesähnlichen Schlaf erquickt und geheilt zu erwachen.

 

Natürlich ist nichts davon jemals wahr gewesen,  aber der klangvolle Name tarantula ist gar zu schön, um ihn ungenutzt liegen zu lassen. Und wie sagen unsere italienischen Freunde seit Giordano Bruno: se non è vero, è molto ben trovato (wenn es nicht wahr ist, dann ist es doch gut erfunden!).

Kupferstich von Maria Sibylla Merian (1700): die Geburtsstunde des Wortes "Vogelspinne"
Kupferstich von Maria Sibylla Merian (1700): die Geburtsstunde des Wortes "Vogelspinne"

Als nun zusammen mit den anderen Einwanderern verschiedenster Nationen auch die Vorfahren von Danny de Vito, Robert de Niro und Stefania Germanotta („Lady Gaga“) in die heutigen USA kamen, riefen sie angesichts der Vogelspinnen entsetzt aus „tarantula!“ -  und seitdem ist für jeden Amerikaner jede Vogelspinne unausrottbar eine „Tarantula“, und demzufolge dank der amerikanischen Filme und anderen Exportprodukte auch für uns aus der guten alten Vogelspinne die „Tarantel“ geworden (o weia: so wie jetzt die schönen Seerosen (amer. water lily) auch im Deutschen zu „Wasserlilien“ und der Giftsumach (Toxicodendron radicans, amer.  poison ivy) zum „Giftefeu“ mutierten).

Dabei heißen diese Spinnen für uns doch seit Maria Sibylla Merian (1647-1717) „Vogelspinnen“. Die Merian, „die coolste Mutti des Barock“, war um 1700 mit ihrer fast erwachsenen Tochter nach Surinam gereist, um dort exotische Pflanzen und Tiere zu zeichnen, und hat unter anderem das gruselige Bild von einer Vogelspinne gezeichnet, die auf einem Kolibri sitzt. Und fünfzig Jahre später hat Carl von Linné, der große Benenner der Pflanzen und Tiere, dieses Bild zum Anlass für den Namen Aranea avicularia (avis = Vogel) genommen. Auch die Briten sagen „bird-eating spider“.

auch so eine "Therapiespinne":   Nephila clavipes: riesig, aber völlig harmlos !
auch so eine "Therapiespinne": Nephila clavipes: riesig, aber völlig harmlos !

 

Wie gefährlich sind Spinnen ?

 

Alle Spinnen der Welt ernähren sich auf die selbe Art und Weise: mit ihren Chelizeren (Giftklauen) packen sie ihre Beute und injizieren einen hochkomplexen Proteincocktail, der einerseits die Beute lähmt und tötet und andererseits als Verdauungsenzym wirkt, das die Beute bereits außerhalb des Körpers zu verdauen beginnt. Die Spinne braucht dann nur noch später den vorverdauten Insekten-Smoothie einzuschlürfen. Der Chitinpanzer und anderes Unverdauliches bleibt von vornherein draußen, so dass Spinnen bei dieser extrem ballaststoffarmen Ernährung auch kaum „kacken“ müssen. Vogelspinnen lassen es sich stundenlang schmecken und zerkneten und zerdrücken die Beute mit ihren kraftvollen Chelizeren, bis sie alles Wertvolle „ausgewrungen“ haben. Nach einer solchen Mahlzeit können sie dann wochen- und notfalls monatelang hungern. Aber sie bewegen sich ja kaum und führen eine äußerst kraftsparende und „gechillte“ Lebensweise.


huch, was hat sie denn vor ?!
huch, was hat sie denn vor ?!

Aus dieser Ernährung folgt, dass alle Spinnen Giftklauen und Gift haben. Selten sind jedoch die Spinnen, bei denen die Chelizeren überhaupt die menschliche Haut durchdringen können – das gelingt bei uns weder der Haus-, noch der Zitter- noch der Kreuzspinne. Vogelspinnen jedoch sind ja die Elefanten unter den Spinnen; sie können mit ihren 1,5 cm langen Chelizeren durchaus bis auf den Fingerknochen eindringen und stark

...kitzelt ein bisschen...
...kitzelt ein bisschen...

blutende Wunden hinterlassen. Die Aggressivität ist dabei artspezifisch: einige Arten machen zur Verteidigung leicht von ihrem schmerzhaften Biss Gebrauch, andere sind als ruhige und „gut zu handelnde“ Arten bekannt.

Völlig unabhängig von der Bisskraft ist die Stärke und Wirkung des Giftes: der Biss vieler Vogelspinnen hat nur die Wirkung eines Bienen- oder Wespenstichs. Wirklich gefährliche Spinnen haben mit Vogelspinnen gar

nichts zu tun: So können die Bisse der kleinen Kugelspinnen Latrodectus mactans („Schwarze Witwe“, Amerika) oder der nah verwandten Latrodectus tredecimguttatus („Malmignatte“, Südeuropa) wirklich kritisch werden, und man sollte auf schnellstem Wege ein Krankenhaus aufsuchen.

Als die giftigsten Spinnen der Welt gelten die 8 Arten der Gattung Phoneutria (griech. „Mörderin“), die wir in Tropisch-Amerika von Costa Rica bis

Brasilien antreffen können. Auf das Konto dieser Gattung gehen immerhin einige Todesfälle jährlich. Aber andererseits sind solche hochwirksamen Gifte ja für die pharmazeutische Forschung sehr interessant, und derzeit werden die Giftstoffe vieler giftiger Spinnen intensiv z.B. für die Behandlung chronischer Schmerzerkrankungen beforscht.


















Obacht: Die ist wirklich nicht ohne !


Phoneutria boliviensis in Costa Rica;   das schöne Bild ist von Bastian Frank)

das will erst noch eine Vogelspinne werden:  ein "Spiderling" von Brachypelma smithi
das will erst noch eine Vogelspinne werden: ein "Spiderling" von Brachypelma smithi

Meine Vogelspinnen

 

Vogelspinnen habe ich noch gar nicht lange. Wer erfolgreich Vogelspinnen hält und verpaart, dem legt das Weibchen nach monatelanger Tragzeit ein „Überraschungsei“: es baut aus Spinnseide einen runden, weißen Kokon, in dem sich winzige, millimetergroße Jungspinnen entwickeln – und zwar hunderte! Diese führen gleich die Lebensweise von Spinnen.  Bevor sie also anfangen, sich aufzufressen, muss man sie vereinzeln und in kleinen

Brachypelma und ein 25-jähriger Ehering ! Siehst du, Leo: "Bürgertum" und Vogelspinnen gehen doch zusammen !  ;-)
Brachypelma und ein 25-jähriger Ehering ! Siehst du, Leo: "Bürgertum" und Vogelspinnen gehen doch zusammen ! ;-)

Döschen separat zunächst mit Obstfliegen (Drosophila) aufziehen. Da das für 500 winzige Spinnen keiner leisten kann und froh ist, den größten Teil des „Kindersegens“ bald loszuwerden, kosten solche „Spiderlinge“ auf entsprechenden Terrarianerbörsen fast nichts.

Man muss solche winzig kleinen, zerbrechlichen Wesen dann eben liebevoll und geduldig großpäppeln. Zuerst fressen sie kleine Obstfliegen (Drosophila melanogaster), dann große (D. hydei), und dann kommt die Schokoschabe ins Spiel:  Shelfordella tartara ist das ideale Futtertier, und in einer guten Schabenzucht stehen immer alle Altersstadien und –größen zur Verfügung. Bald gewöhnen sich die Spinnen daran, „aus der Hand zu fressen“,  oder besser: die Schaben von der Pinzette abzunehmen.

Ab und zu erschrickt man, wenn man eine eben noch vitale Vogelspinne leblos und mit zusammengekrümmten, zuckenden Beinen auf dem Rücken liegen sieht. Aber dann häutet sie sich.  Bloß nicht stören, denn sie braucht Stunden, um all ihre Beine, Füße und Tasterglieder aus der alten Haut zu befreien. Am nächsten Tag steht sie wieder aufrecht-  und ist ein bisschen größer.

 


derzeit meine hübscheste: halbwüchsige Brachypelma smithi.
derzeit meine hübscheste: halbwüchsige Brachypelma smithi.

Artgerechte Haltung

 

Darum mussten wir uns schon bei Harry Potter Gedanken machen, wo ja Hagrid seinen Aragog „in einer Truhe“ großgezogen hat. Aber wie viel Platz, Auslauf und „Beschäftigung“ brauchen Vogelspinnen ? Und was fühlen sie?

Schauen wir uns ihre Sinnesorgane an: mit ihren oben auf dem „Kopf“ liegenden Punktaugen können sie Hell und Dunkel oder den Schatten einer nahenden Gefahr wahrnehmen, aber die strahlende Schönheit von Gottes herrlicher bunter Welt können sie damit wohl nicht genießen. Dafür sind sie überall bedeckt mit einer Vielzahl von Geruchs-, Berührungs- und Erschütterungsrezeptoren -  die vornehmsten davon sind die Trichobothrien. Dadurch können sie das zarteste Krabbeln eines nahenden Beuteinsekts erspüren und sich selbst in völliger Dunkelheit zielsicher darauf stürzen.

Ich bin zwar selber nie Spinne gewesen, aber daraus schließe ich, dass sie uns, wenn wir mit 75 kg das Zimmer betreten, wie ein Erdbeben wahrnehmen müssen. Mit Rücksicht darauf bewege ich ihre Behälter bei der Fütterung mit den ruhigsten Bewegungen, die mir möglich sind. Auch wenn ich sie auf die Hand nehme, geschieht dies mit den tiefenentspanntesten, gleitendsten Bewegungen. Und da bleiben sie dann sofort ganz ruhig sitzen ! Keine Ahnung, was Spinnen „denken“. Ob sie sich an mich gewöhnen ? (Ich denke schon: ganz sicher an meinen Geruch, deshalb nehme ich sie z.B. nicht auf eine frisch seifengewaschene oder shampoogeduschte Hand). Ob sie mich gar mögen? Ich mag aus Sicht meiner Spinnen erbärmlich wenige Augen oder Beine haben – dafür habe ich ihnen aber etwas anderes, absolut geiles zu bieten: eine kontinuierliche Herzenswärme von fast 37 Grad! Vielleicht lernen sie mit den Ganglien ihres Spinnennervensystems ja doch, dass etwas Großes, Schweres mit meinen vibrations und meinem Geruch immerhin eine wohlige Wärme abstrahlt. Vielleicht auch nicht -  aber man darf ja ruhig ein bisschen spinnen.